In Bengalen lebte
einst ein frommer Mann...
Jeden Tag kam ein Sanskrit-Gelehrter zu ihm nach Hause, um laut
einige ergreifende Verse aus der Bhagavad Gita, den Upanishaden und
den Veden zu rezitieren, und der Hausherr hörte ihm andächtig zu.
Seine Familie besaß einen Vogel namens Krishna, dessen Käfig in
demselben Zimmer stand, wo auch der Vortrag gehalten wurde. Und so
hörte er immer alles mit.
Eines Tages sagte der Vogel zu seinem Herrn:
"Könntest Du mir bitte sagen, was Dir diese spirituellen Vorträge
bringen?"
Sein Besitzer antwortete:
"Krishna, Du verstehst offenbar nicht, dass mich diese Rezitationen
der heiligen Schriften von allen Bindungen befreien werden."
Der Vogel erwiderte:
"Du hörst Dir diese Vorträge aber schon seit vielen Jahren an, ohne
dass ich eine Veränderung an Dir erkennen könnte. Würdest Du bitte
Deinen Lehrer fragen, was denn wirklich mit Dir geschehen soll?"
So fragte der Hausherr am nächsten Tag seinen Lehrer:
"Guru, ich lausche Deinen spirituellen Rezitationen jetzt schon seit
über zehn Jahren. Stimmt es wirklich, dass ich durch sie Befreiung
erlangen werde?"
Sein Lehrer fiel in betretendes Schweigen. Er kratzte sich am Kopf
und dachte angestrengt nach, konnte die Frage aber nicht
beantworten. Eine ganze Stunde lang schwieg er und verließ dann
wortlos das Haus.
Der Hausherr war verblüfft. Sein Guru hatte keine Antwort auf die
Frage seines Vogels gefunden! Krishna hingegen fand eine Antwort:
Von diesem Tag an hörte er zu fressen auf. Er sang auch nicht mehr,
sondern verstummte völlig. Der Hausherr und seine Familie legten
zwar Tag für Tag Futter in seinen Käfig, doch der Vogel rührte
nichts davon an.
Eines Tages bemerkte der Hausherr, dass sein Krishna kein
Lebenszeichen mehr von sich gab. Vorsichtig nahm er den Vogel aus
dem Käfig und legte ihn traurig auf den Boden. Aber im nächsten
Augenblick schon entflog der Vogel in die unendliche Weite des
Himmels!
So lehrte der Vogel und sein Besitzer und dessen Guru lernten:
Stille befreit
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